Stefan Markus

Wege und Entscheidungen – mein Leben im Beruf

Wie alles begann

Ich sitze vor einem leeren Blatt Papier und überlege, was ich schreiben soll. Unser Lehrer gab uns, und damit mir ganz speziell die Aufgabe, einen Aufsatz über meinen Berufswunsch zu schreiben. Ja, was will ich eigentlich werden? Will ich überhaupt irgendwas? Sechste Klasse, zwölf Jahre alt und so eine Aufgabe – wirklich schwierig. Ich denke nach. Richtig, singen, das macht mir Spaß und fällt mir ziemlich leicht. Erst vor ein paar Monaten hat mein Kantor angefangen, mir ein paar Stunden Gesangsunterricht zu geben. Er hat mich ständig gelobt und meint, ich könnte richtig gut singen. Ja natürlich, Schlagersänger möchte ich werden, ja, genau. Aber ist das wirklich mein einziger Wunsch? Mein Großonkel Kurt hat mich in den letzten Sommerferien tatsächlich mit seinem SR2 fahren lassen und nicht nur einmal. Das war vielleicht der Hammer. Mopeds und erst recht Motorräder und erst recht Motorradrennen, die Weltmeisterschaft und Autos, Autorennen, das alles fasziniert mich ja längst. Also Testfahrer, das wäre ja ein richtiger Beruf. Es ist beschlossene Sache, ich möchte Testfahrer oder Schlagersänger werden, und so schrieb ich meinen Aufsatz und war sehr zufrieden damit.

Übrigens, ich bin Stefan, Jahrgang 1959 und am 03. Februar, einem sehr kalten und schneereichen Sonntag zur Welt gekommen. Meine Kindheit war sehr behütet und geprägt vom festen Glauben meiner Eltern und meiner Oma an Jesus Christus. Und so wuchs ich auf in diesem sehr gläubigen Umfeld. Noch dazu wohnten und lebten wir in Zschorlau, im Haus der Landeskirchlichen Gemeinschaft. Damit war für mich das Gemeindeleben von Montag bis Sonntag sehr präsent. Es dauerte nicht lange, da saß ich jeden Sonntagvormittag in der Sonntagschule, sang sehr bald im Kinderchor und in der Kurrende, lernte Flöte und dann Geige, später kam die Gitarre und auch noch die Posaune dazu. Und auf dem Dachboden habe ich mir sehr bald ein Schlagzeug zusammengebaut. Somit wurde die Musik zu einem nicht unerheblichen Teil meines Lebens und der Berufswunsch Schlagersänger war nicht ganz unbegründet.

Die Jahre vergingen und das Thema Berufswahl wurde tatsächlich ganz ernst. Ich hatte inzwischen neben meinen musikalischen Aktivitäten auch das Schrauben, besonders an Mopeds entdeckt. Den alten Star von meinem Opa durfte ich generalüberholen und dann behalten. Dabei entdeckte ich meine zweite berufliche Möglichkeit. Die nannte sich zwar nicht Testfahrer, allerdings artverwandt war die dann schon. Der Berufswunsch hatte sich herauskristallisiert: Kfz-Mechaniker.

Natürlich war die Musik für mich persönlich noch lange nicht gestorben, im Gegenteil, Musik begleitete mich mein ganzes Leben, bis heute. Allerdings wurde mir bereits in der Grundschule klar gemacht, dass ich mit meiner Einstellung zum Sozialismus keineswegs eine erweiterte Oberschule (heute Gymnasium) besuchen werde. Das ist den linientreuen Jugendlichen vorbehalten. Damit war natürlich der Traum von einem Musikstudium ausgeträumt. Ich trauerte dem nicht lange nach und war sehr schnell mit dem Gedanken zufrieden, eine Lehre zum Kfz-Mechaniker anzufangen. Mein Vater legte sich richtig ins Zeug, denn er wollte mich keinesfalls in einem VEB, in einem Volkseigenen Betrieb unterbringen. Da war Linientreue zum sozialistischen Staat und die Ausbildung zu vorbildlichen DDR-Bürgern ganz oben auf der Ausbildungsagenda. Das wollte nun weder ich und gleich gar nicht mein Vater. So kontaktierte er alle kleinen und noch privat geführten Kfz-Werkstätten im Umkreis und achtete noch ziemlich genau darauf, dass der Chef möglichst auch Christ ist. Leider lief die Suche ins Leere. Alle von meinem Vater aufgesuchten Betriebe hatten bereits einem Bewerber die Ausbildung zugesagt. Es blieb eine letzte Möglichkeit, gegen die sich mein Vater förmlich stemmte. Mit dem Chef dieses Kfz-Betriebes hatte mein Vater vor einigen Jahren ein sehr negatives Erlebnis. Der Inhaber war keineswegs gläubig und artikulierte sich in einer sehr unschönen Situation entsprechend. Daran erinnerte sich mein Vater sehr genau und wollte seinen Sohn keinesfalls zu diesem Mann in die Ausbildung geben. Was sollte er aber jetzt machen? Es war die letzte Möglichkeit für eine Lehrstelle. Also fasste sich mein Vater ein Herz und besprach die Lage mit dem Werkstattleiter. Dieser erklärte gleich die Situation und den Entschluss der Geschäftsleitung, in diesem anstehenden Ausbildungsjahr keinen Lehrling zu nehmen. Allerdings wollte er beim Chef ein gutes Wort einlegen. Das Unerwartete geschah und ich bekam gerade in dem Betreib meine Ausbildung, in dem mich mein Vater auf keinen Fall haben wollte. Ich selbst konnte später im Rückblick dankbar feststellen, dass mein Gott und Herr persönlich die Stelle genau für mich reserviert hatte.

Und so begann meine Laufbahn 1975 im Kfz-Gewerbe und Automobil-Geschäft.

 Lebenswende

“Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ klingt heute vielleicht etwas verstaubt, ich jedenfalls bekam die ganze Tiefe dieses Spruches in meiner Ausbildung zu spüren. In jedem Fall musste ich gleich zu Beginn der Ausbildung erst mal lernen, ordentlich Würste und Steaks zu grillen. Dann kam der Winter und die gesamte Ofenheizung wurde zu meinem Ding. Den Kessel säubern, Asche entsorgen, Brennholz und Kohlen für den kommenden Tag bunkern und das Feuer überwachen. Natürlich musste auch die Waschmaschine, in der die fettverschmierten Teile gewaschen wurden, regelmäßig gereinigt werden, eine furchtbare Aufgabe. Ebenso sollten regelmäßig die verschiedenen Arbeitsplätze gekehrt und von der Fettkruste befreit werden. Auch als Helfer bei den Bauarbeiten am Wohnhaus meines Chefs wurde ich immer wieder eingesetzt. Aber ich wollte doch Kfz-Mechaniker werden? Es kam der Tag, da hätte ich die Lehre am liebsten hingeschmissen. Ich hatte es wieder einmal keinem recht machen können und heulte mich zu Hause bei Muttern ordentlich aus. „Lehrjahre sind nun mal keine Herrenjahre“ bekam ich zu hören und es wird schon werden. Und dann kam der für mich alles entscheidende Tag.

Nachdem ich gelernt hatte, wie man Bohrer anschleift und mit Schneidbohrern umgeht, bekam ich meine erste so richtig verantwortliche Aufgabe. Dazu muss ich kurz erklären, was die Firma neben Fahrzeugreparaturen noch so für Aufträge erfüllte. Es war ja zur tiefsten DDR-Zeit und ein neues Auto zu bekommen so gut wie aussichtslos. Unser Betrieb hatte sich auf die Generalreparatur von Kleintransportern Barkas B1000 spezialisiert. Dazu wurden aus neuen Blechteilen ganze Karossen zusammengeschweißt, der Unterboden farbbehandelt und konserviert und die komplette Karosse neu lackiert. Anschließend komplettierten wir die Karosserie mit generalüberholten oder auch ab und an mit neuen Aggregaten zu einem letztendlich fast neuen Fahrzeug. Nun war meine verantwortungsvolle Aufgabe das Nachschneiden der Gewindeböcke für die Achsbefestigung. Die Befestigungsschrauben hatten ein Gewinde M12 x 1,75 und ich musste pro Achse 2 Gewindebohrungen im Trägerrahmen nachschneiden. Der Auftrag war klar und die Einweisung dazu eindeutig. Mehrfach kam die „Drohung“, ja keinen Schneidbohrer abzubrechen, da dies Folgen haben würde, die ich keinesfalls tragen möchte. Ich kletterte mit dem notwendigen Werkzeug und Ölkanne voller Tatendrang hinunter in die Reparaturgrube und begann meine Mission zu erfüllen. Es lief gut und ich hatte keinen Grund zur Sorge, ich wusste ja, was alles zu beachten war. Die ersten drei von acht Bohrungen hatte ich bereits erledigt und nun kam Nummer vier an die Reihe, das vordere Gewindeloch der rechten Hinterachse. Wie gelernt schnitt ich das Gewinde Gang um Gang nach und hatte nur noch eine Umdrehung bis zum Anschlag, als es plötzlich einen furchtbaren Knall gab und ich den abgebrochenen Schneidbohrer in der Hand hielt. Allerdings steckte noch ein ca. 2,5 cm langes Stück rammelfest im Gewindeloch. Durch den Knall war natürlich sofort die gesamte Werkstatt alarmiert und alle wussten im selben Moment, was da mir, dem Lehrspund gerade passiert war. Das Donnerwetter ließ daher nicht lange auf sich warten und ich wurde verbal kurz und klein geschimpft. Ich musste mir anhören, was jetzt alles passieren wird und dass ich den Schaden gar nicht mehr gutmachen kann usw. usw. So stand ich völlig fertig mit der Welt in der finsteren und fettverschmierten Grube und hatte nicht den geringsten Plan und Ausweg. In meiner Verzweiflung griff ich mir einen Metalldorn und meinen Hammer und versuchte an einer ganz kleinen Ecke, die aus dem Gewindeloch herausschaute, das abgebrochene Stück mit kleinen Schlägen gegen den Uhrzeiger herauszuschlagen. Bereits beim ersten Versuch platzte diese Ecke ab und es zeigte sich mir eine ganz glatte Bruchstelle, bündig mit dem Gewindeloch. Völlige Ratlosigkeit war in mir hochgekrochen und Angst vor dem, was folgen würde.

Nun hatte ich ja bereits von meiner guten Erziehung in einem sehr gläubigen Elternhaus erzählt. Allerdings meldete sich in mir auch immer häufiger die Abenteuerlust und der Drang, andere Gefilde zu ergründen. Daher entstand mehr und mehr ein Doppelleben. Ich lebte inzwischen mit zwei Gesichtern. Das eine Gesicht setzte ich auf, wenn ich in der Gemeinde und im Jugendkreis aktiv war. Dann aber, wenn ich mich mit meinen Kumpels als Discjockey austobte, trank, rauchte und von meiner „guten Erziehung“ nicht mehr viel zu erkennen war, dann kam mein zweites Gesicht zum Vorschein. Allerdings kroch in mir ab und zu mal der Gedanke hoch, dass ich das nicht endlos durchziehen kann. Irgendwann muss ich mich mal entscheiden. Allerdings war ich davon gefühlt noch sehr weit weg. Und nun stand ich völlig fertig und mit meiner Weisheit total am Ende in diesem Dreckloch vor der absoluten Katastrophe. Ich wollte am liebsten im Boden versinken oder ungesehen den Betrieb auf Nimmerwiedersehen ganz schnell verlassen.

In meiner absoluten Verzweiflung stieg der Gedanke an Gott in mir hoch. So viel hatte ich von ihm gehört, von Wunderheilungen, Rettungen, Lebenswenden und manchem mehr. Kann es wirklich sein, dass dieser Gott so mächtig ist und tatsächlich auch heute noch Wunder tut? Sollte Gott meinen Hilfeschrei hören können? Es war meine letzte und einzige Chance. Ich faltete meine Hände und flehte Gott an, mich bitte aus dieser für mich unerträglichen Situation auszuhauen, ein Wunder zu schenken oder wie auch immer. Und ich formulierte ein Versprechen: „Wenn Du ein Wunder geschehen lässt und mich aus dieser Lage befreist, dann will ich mein Leben Dir geben, dann sollst Du mein Herr und Gott sein und ich will Dir dienen.“

Nach dem „Amen“ stand ich genauso da, wie vorher. Allerdings kam ein ganz massiver Gedanke in mir hoch, etwas zu tun, was technischer Blödsinn ist. Aber weil der Gedanke so extrem deutlich war, habe ich tatsächlich meinen Metalldorn noch mal in meine linke Hand genommen, auf die glatte Fläche des abgebrochenen Bohrers aufgesetzt und mit dem Hammer vorsichtig zugeschlagen. Ich traute meinen Augen kaum. Mit jedem Schlag drehte sich das rammelfest sitzende, abgebrochene Stück ein wenig in Uhrzeigerrichtung und so etwa nach einer Umdrehung konnte ich mit der Hand zugreifen und den Rest problemlos herausdrehen. Ich legte das abgebrochene Stück auf meine Hand, kletterte aus dem finsteren Loch und zeigte es dem Werkstattmeister. Der schüttelte nur den Kopf und meine: „Das ist technisch unmöglich, das kann nicht sein. Das hat noch keiner geschafft.“ Nach meiner Beteuerung, dass das tatsächlich das abgebrochene Stück ist, meinte er nur: „Dann war das wohl ein Wunder.“ Ja, es ist ein Wunder für mich passiert. Gott hat mein Flehen erhört und mich rausgehauen. Dessen war ich mir sofort und ohne jeglichen Zweifel bewusst.

Damit ging mein Alltag zunächst erst mal ganz normal weiter. Allerdings in meinem Kopf kam immer massiver der Gedanke hoch, dass ich ja mit Gott einen Deal gemacht hatte: „Wenn Du mir hilfst, dann will ich…“ Mein Teil des Deals war noch offen. Ich wusste, Gott ein solches Versprechen zu geben und dann nicht einzulösen, das hat mit Sicherheit Konsequenzen. Und ich wusste ja jetzt ganz sicher, dass Er auch heute noch Wunder tut, dass Seine Existenz außer Frage steht. Also machte ich mich auf, ging zu meinem damaligen Jugendleiter, bekannte meine Schuld und übergab mein Leben Jesus, meinem persönlichen Retter und Heiland. Ich weiß noch ganz genau, als wäre es erst gestern gewesen, wie ich anschließend zu Fuß durch Zschorlau nach Hause gelaufen bin. Ich hatte so eine Freude in mir, dass ich am liebsten laut gesungen hätte. Meine Entscheidung war endlich gefallen und ich war entschlossen, diese Entscheidung auch zukünftig zu leben. Seitdem bin ich nunmehr 50 Jahre mit dem lebendigen Gott, mit Jesus unterwegs und es blieb keineswegs bei diesem einen Wunder. Ich habe später noch einiges mehr mit meinem Herrn und Gott erlebt. Ja und es stimmt, mein Vater wollte mich keinesfalls in dieser Firma haben, aber Gott hatte eben einen anderen Plan mit mir.

Wendezeit

Auch meine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker nahm eine positive Wende. Ich wurde immer mehr in das für mich interessante Handwerk eingelernt und es machte mir richtig Freude. Hatte ich zu Beginn meiner Lehre noch den Rasen für die Erweiterung des Wohnhauses meines Chefs abgezogen und immer wieder am Grill gestanden und die Einkäufe für die Gesellen erledigt, so lernte ich jetzt Motoren und Getriebe zu reparieren, Vorder- und Hinterachsen einer Generalüberholung zu unterziehen, Bremsen und Kupplungen zu reparieren und Blechteile zu wechseln. Auch das Schweißen und vieles mehr wurde mir beigebracht. Nach hervorragend bestandener Gesellenprüfung war ich zwar noch einige Jahre der jüngste Mitarbeiter und damit oftmals noch für Aufgaben zuständig, die ich nicht so prickelnd fand, aber mehr und mehr nahmen mir Kollegen auch solche Aufgaben mit ab und ich gehörte sehr bald so richtig zum Team. Daraus entwickelten sich später sogar Freundschaften.

Meinem Chef war ich besonders dankbar, nämlich dafür, dass er uns, seinen Mitarbeitern ganz klar den Rücken von allen politischen Einflüssen und Aktivitäten freihielt, die in einem Volkseigenen Betrieb (VEB) oft zur Tagesordnung gehörten. Seine Anweisung war immer: Ihr seid meine Mitarbeiter, ohne euch kann ich den Laden zu machen. Ich verlasse mich zu 100% auf eure gute Arbeit, auf eure Zuverlässigkeit und Loyalität zu unserem Betrieb. Um alles andere (das politische) kümmere ich mich. Und genau so war es auch. Mein Chef stand zu seinem Wort und ich war ihm dafür überaus dankbar. Und daher nahm ich es auch gerne in Kauf, dass in meiner Lohntüte am Ende des Monats einige DDR-Mark weniger zu finden waren als bei meinen Kollegen in den Volkseigenen Betrieben und ich dafür oft auch noch länger und härter arbeiten musste. Das schadete mir aber besonders im Blick auf die Zukunft keineswegs.

Und dann kam der 9.November 1989. Wie gewohnt hatte ich 15:30 Uhr Feierabend und fuhr mit meiner alten, aber sehr zuverlässigen IFA RT 150 durchs Dorf nach Hause. Meine Frau empfing mich ganz aufgeregt mit den Worten: „Komm schnell, das musst du dir ansehen.“ Und so setzte ich mich gleich mit den verschmierten Schlosser-Klamotten auf einen Stuhl mitten ins Wohnzimmer vor den laufenden Fernseher. Unfassbar, was ich da sah. Wir hatten zwar die letzten Wochen und Monate immer wieder mit vielen Leuten demonstriert und Kundgebungen gegen das sozialistische und kommunistische System besucht, aber dass die Mauer fallen würde, das haben wir nicht wirklich geglaubt. Und jetzt saß ich hier, mitten im Wohnzimmer und starrte völlig gebannt auf den Bildschirm. Die Bilder waren echt, die Mauer war tatsächlich „gefallen“. War das wieder eine Wende, eine Wende auch für mein berufliches Leben? Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch überhaupt keine Ahnung, was das für mich und mein Leben bedeutet und was tatsächlich auf mich zukommen würde. Allein die Tatsache zu verarbeiten, wir könnten ganz einfach, ohne Repressalien und jegliche Gefahr über die so gefürchtete Todesgrenze laufen oder fahren, das war für den Moment mehr als genug.

Bereits nach wenigen Tagen kam unser Chef dann in die Mitarbeiter-Runde und stellte uns vor eine wichtige Entscheidung. Er machte uns unmissverständlich klar, dass in absehbarer Zeit hier bei uns in der noch DDR alles so werden wird, wie es im Westen schon lange ist und läuft. „Entscheidet ihr“ so sagte er uns, „ob ihr den neuen Weg mitgehen wollt, ob wir uns gemeinsam der neuen Zeit stellen, einen neuen Vertrag mit einem namhaften Automobilhersteller anstreben und jede Menge Neues lernen müssen, oder ob ihr so weitermachen wollt, wie bisher. Allerdings wird das dann irgendwann das Ende sein. Setzt euch zusammen und findet eine Entscheidung. Ich alleine kann nichts tun. Ich brauche euch und nur mit euch gemeinsam werden wir die neuen Herausforderungen meistern.“

Also trafen wir uns alle, ohne Chef, in der Kneipe und diskutierten sehr lebhaft und z.T. auch kontrovers über unsere Zukunftspläne. Wir waren damals 10 Mitarbeiter, mehr durfte ein privater Betrieb in der DDR nicht beschäftigen. Alle zehn Leute waren dabei und am Ende entschieden wir uns mit großer Mehrheit für den neuen Weg in die neue Zeit. Unsere Entscheidung teilten wir unserem Chef am nächsten Tag mit und daraufhin bereitete er sich gemeinsam mit seiner Frau auf eine Reise durch die Bundesrepublik vor, auf der sie gemeinsam bei so viel wie möglichen Automobilherstellern vorstellig wurden, um einen Händlervertrag anzustreben. Das dies nicht so einfach werden würde, war zu diesem Zeitpunkt nicht abzusehen. Es war für diese Aktion einfach noch zu früh. Das Jahr 1989 war ja noch nicht mal richtig vorüber und die meisten westdeutschen Unternehmen wussten selbst noch nicht, was die Grenzöffnung für sie bedeuten wird und wie es mit diesen beiden deutschen Staaten weitergeht. Dass mein Chef in den vergangenen Jahren und aktuell im internationalen Rennboot-Motorsport sehr erfolgreich und bekannt war, das sollte jetzt von Vorteil sein. Als der Pförtner am Eingang des Opel-Werkes in Rüsselsheim seinen Namen in die Führungsetage weitergab, kam die Rückfrage, ob der Mann der erfolgreiche Konstrukteur und Entwickler der Rennbootsmotoren ist und mein Chef wurde daraufhin unverzüglich vorgelassen. „Wer so erfolgreich Motoren entwickeln und bauen kann, der kann auch Opels verkaufen.“ war der Konsens dieses Treffens. Das hatte zur Folge, dass wir bereits am 10. März 1990 in Rüsselsheim einen Händlervertrag für den Standort Zschorlau unterzeichneten und ich war tatsächlich dabei und schnupperte zum ersten Mal die Luft eines westlichen Großunternehmens. Das war für mich ein ordentliches Aha-Erlebnis.

Nur wenige Tage danach sollte sich durch ein kurzes, ungeplantes Gespräch mit meinem Chef mitten auf dem Werkstatthof mein berufliches Leben für die Zukunft völlig verändern. Ich sprach ihn an und sagte: „Master“, das ist nicht englisch, sondern erzgebirgisch und so habe ich ihn immer, bis zuletzt angesprochen. Also, „Master, ich würde gerne für unsere zukünftige Entwicklung Verantwortung übernehmen.“ Damit hatte ich bei ihm offene Türen eingerannt. Er hat mich sofort in meiner Entscheidung bestärkt und auf meine Frage hin, was ich als nächstes machen sollte, sagte er mir, dass er das auch nicht wüsste, allerdings eines weiß er, es wird hier im Osten alles so werden, wie es im Westen ist. „Mach einfach los, fahr los, schau dir die Betriebe im Westen an und wir machen es hier dann genau so.“ Das war für mich zunächst mal ein absoluter Vertrauensbeweis. Ich durfte einfach machen, einfach losmachen. Das habe ich mir dann nicht zweimal sagen lassen und ich begann mich in die Opel-Welt einzuarbeiten. Inzwischen kaufte mein Chef das angrenzende Grundstück und schaffte sofort Berge von Baumaterial ran. Und das alles noch vor der Währungsunion, also mit DDR-Mark. Mit einer kleinen Baufirma und jeder Menge Eigenleistung von uns Mitarbeitern entstand so in Zschorlau sehr schnell das erste Opel-Autohaus in den neuen Bundesländern und wurde bereits im Oktober 1990 eröffnet.

Die Entscheidung

Die Ereignisse überschlugen sich, es wurden neue Mitarbeiter eingestellt und sehr bald wurde uns klar, dass am Standort Zschorlau das sich explosionsartig entwickelnde Geschäft nicht allein zu stemmen war. Und so entschieden wir uns für einen Neubau im nahe gelegenen Schlema, heute Bad Schlema. Im Frühjahr 1993 gab es den ersten Spatenstich und bereits am 09.Oktober, pünktlich zum 60. Geburtstag meines Chefs, eröffneten wir den Neubau. Genau in dieser Bauphase 1993 eröffnete mir mein „Master“, dass er mich für eine Management- Ausbildung über Opel angemeldet hat und dass er mich später zu seinem Nachfolger als Geschäftsführer ernennen wird. Das war für mich dann doch erst mal zu viel des Guten und ich hatte zu dieser Ansage überhaupt kein „Ja“. Mir war sofort klar, dass dieser Weg von mir mehr abverlangen würde, als ich zu leisten in der Lage war. Mir war klar, wenn ich diese Ausbildung beginne, dann kann und will ich nicht mittendrin abbrechen und es mir anders überlegen. Ich brauchte also eine klare Entscheidung vor dem ersten Seminar-Termin. Mir war ebenfalls klar, dass diese Ausbildung dem Unternehmen nicht wenig Geld kosten wird und ich über ein Jahr lang ständig als Mitarbeiter vor Ort ausfallen werde. Ich brauchte also Klarheit darüber, ob das tatsächlich mein Weg in die Zukunft sein soll und wollte diese weitreichende Entscheidung keinesfalls allein treffen. Hier konnte und wollte ich nicht anders, als das ganz intensiv im Gebet mit meinem Gott und himmlischen Vater zu besprechen. Er, und nur Er konnte und sollte mir die richtige Entscheidung vorgeben.

Der erste Termin, das erste Treffen der angemeldeten Teilnehmer rückte immer näher. Wir waren alle nach Heidelberg zu einem ersten Check-Up eingeladen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und besuchte in meiner Ratlosigkeit meine Seelsorgerin. Sie hörte sich ganz ruhig meine Geschichte und meine Entscheidungsnot an und wir gingen gemeinsam in ein intensives Gebet. Anschließend war sie ganz sicher, dass ich eine klare Entscheidung bekommen würde, nämlich genau an dem Wochenende des ersten Treffens in Heidelberg. Bis zu diesem Termin waren noch ca. 3 Wochen Zeit und ich hatte in diesen Tagen einen tiefen Frieden. Ich war mir ebenfalls sicher, dass ich meine Entscheidung genau an diesem Wochenende bekommen würde. Vorbereitet war ich innerlich für beide Möglichkeiten, für ein „Ja“ genauso wie für ein „Nein“. Übrigens hing an dieser Entscheidung noch mehr. Mein Chef hatte mich im gleichen Zeitraum auf das Gemeindeamt in Zschorlau geschickt, um mich dort für ein Grundstück eintragen zu lassen und einen Hausbau zu planen. Das war für mich das, was ich keinesfalls vorhatte und auch meine Frau Petra hatte dazu absolut kein „Ja“. Also ließ ich den Gang zum Gemeindeamt einfach sein. Ganz im Hinterkopf kam mir allerdings der Gedanke, falls ich ein „Ja“ zu meiner Ausbildung und damit zu meinem weiteren Weg in der Firma bekommen sollte, würde ich mit meiner Petra nochmal neu über Grundstück und Haus nachdenken.

Der Termin in Heidelberg rückte näher und in mir stieg eine gewisse Spannung hoch. Wie wird die Entscheidung ausfallen und wird sie für mich eindeutig sein? Innerlich hatte ich mir eine Art Tabelle zurechtgelegt. Die eine Spalte war für die Punke, die für ein „Ja“ sprachen und die andere war die „Nein“-Spalte. Also fuhr ich am Freitag relativ zeitig los. Keinesfalls wollte ich unter Druck reisen und am liebsten einer der ersten vor Ort sein. Und so kam es dann auch. Ich war so ziemlich der Erste, stand als Einziger an der Rezeption des Hotels und fragte nach meinem Zimmer. Obwohl ich ordnungsgemäß angemeldet war und meine Anmeldung auch dabeihatte, war für mich kein Zimmer reserviert. Oh, das war also gleich mal der erste Punkt auf der „Nein“-Seite meiner Tabelle. Allerdings war das Zimmer dann doch kein Problem. Schnell machte ich mich frisch und suchte gleich den Raum für das erste Treffen. Dort saß ich nun auch als einer der Ersten und ich konnte beobachten, wer da alles so angemeldet war. Auf großen Flipp-Charts musste sich jeder eintragen und ein paar einfache Einstiegsfragen beantworten. Sehr schnell konnte ich feststellen, dass ich mit meinen damals knapp 35 Jahren so ziemlich mit Abstand der Älteste bin. Und dann kam noch dazu, dass ich wohl der Einzige sein werde, der nicht Sohn eines Autohaus-Unternehmers ist. Alle waren Söhne oder Töchter von Unternehmern. Allerdings wurde ich besonders auf eine junge Dame aufmerksam, die ganz frisch vom Studium aus England kam. Dort hatte sie Betriebswirtschaft und Theologie belegt. Theologie, das machte mich natürlich neugierig, aber mit ihr ins Gespräch zu kommen, schien so gut wie unmöglich zu sein. Sie hatte bei jeder noch so kurzen Pause immer sofort eine Reihe von Gesprächspartnern um sich. Allerdings zur Vorstellungsrunde bekannte sie sich ganz klar zu ihrem Glauben an Jesus Christus. Das war für mich nochmals mehr Motivation, sie für ein Gespräch irgendwie zu treffen, leider immer vergeblich.

Noch an diesem Freitag bekamen wir alle zwei Aufgaben. Als erstes mussten wir in einer begrenzten Zeit weit über einhundert Fragen beantworten und als zweite Aufgabe stand das Verfassen eines Aufsatzes zum Thema Zukunftsvision im Automobilgeschäft. Ich war mir sicher, dass genau die Ergebnisse dieser Aufgaben, die Zulassung oder Absage für die kommende Management-Ausbildung zur Folge haben wird. Nur war das eben doch nicht der Fall. Die Auswertung der Ergebnisse hatte lediglich eine ausgewogene Zusammenstellung der drei Seminargruppen bewirkt.

Allerdings gab es auf meiner „Ja“- „Nein“ Entscheidungsliste auch inzwischen ein paar Punkte für die „Ja“-Seite. Da hatten sich z.B. drei Trainer für die drei zusammengestellten Ausbildungsgruppen vorgestellt. Ganz spontan war ich mir sicher, dass für mich lediglich einer von diesen drei Leuten infrage kam. Sollte ich in seiner Gruppe „landen“, würde ich das als „Ja“ werten, und ich kam in seine Gruppe.

Am Freitagabend saßen wir dann noch zum Tagesausklang in lockerer Runde zusammen und es entwickelten sich gute Gespräche. Mein Gedanke war sofort, sollten diese Leute aus unserer Runde in meine Gruppe kommen, wäre das ebenfalls ein Punkt für die „Ja“-Seite. Und auch diesen Punkt konnte ich gedanklich notieren. Eine richtige und eindeutige Entscheidung war aber keinesfalls greifbar und so wartete ich gespannt, was noch kommen wird.

Kurz vor Samstagmittag wurden wir plötzlich informiert, dass alle Vorbereitungen und Entscheidungen für die kommende Ausbildung erledigt sind und wir nach dem Mittagessen die Heimreise antreten dürfen. Da war ich in Gedanken Versunkener plötzlich hellwach. Was, Heimreise, wieso jetzt schon. Ich habe ja noch gar keine wirklich klare und eindeutige Entscheidung und die Punkteliste ist auch ziemlich ausgewogen. So ging ich wieder gedankenversunken in Richtung Buffet und stellte mich in die inzwischen lange Schlange der Hungrigen. Und wie ich da so vor mich hindenke, höre und merke ich plötzlich, dass die junge Theologiestudentin in der Reihe genau hinter mir steht. Ich drehe mich um und kann es kaum glauben, sie hat keinen Gesprächspartner. Sofort kam mir der Gedanke – jetzt oder nie. Mir fiel vor Aufregung lediglich die Frage nach ihrem Theologie-Studium ein, und ob man als Christ nicht durch so ein Studium eher vom Glauben weggetrieben wird. Darauf antwortete sie mir, dass, wenn man fest auf dem Fundament steht, das Jesus Christus ist, ein Theologie-Studium niemals den Glauben an Jesus Christus abschwächen oder gar verhindern kann. Nach einer kurzen Pause fragte sie mich dann, ob ich denn auch zu Jesus Christus gehöre. Darauf konnte ich ihr spontan mit „ja“ antworten. Ihr Gesicht hatte plötzlich ein Strahlen erhalten und sie sagte zu mir: „Und ich habe so sehr darum gebetet, dass ich hier nicht die Einzige bin.“ Ich kann es hier keinesfalls mit Worten beschreiben, was in dem Moment in mir vor sich ging. Ich wusste augenblicklich, ich gehöre hierher, ich soll diese Ausbildung durchziehen, ich habe ein „Ja“ dafür bekommen. In dem Moment stand ich vor dem Buffet und musste mein Essen wählen. Da habe ich einfach irgendwas auf den Teller gelegt. Meine Augen waren feucht und ich war im Moment nicht in der Lage, etwas zu sagen. Erst nachdem ich gegessen hatte, ging ich noch einmal zu ihr hin und sagte nur kurz, dass sie gerade Teil einer sehr, sehr wichtigen Entscheidung in meinem Leben geworden ist und dass wir aber noch viel Zeit haben werden, darüber zu reden. Sie war nämlich ebenfalls in meine Gruppe eingeteilt worden.

Völlig happy und emotional aufgedreht setzte ich mich ins Auto und trat die Heimreise an. Erst auf der Autobahn kam mir plötzlich die Frage, ob ich denn überhaupt meinen Koffer eingepackt habe. Ich war in Gedanken völlig neben mir. Der nächste Parkplatz gab mir Gewissheit, ich hatte meinen Koffer tatsächlich dabei, konnte mich aber nicht erinnern, ihn in den Kofferraum gepackt zu haben. Jetzt waren alle Dämme gebrochen. Die Antwort war für mich so klar und eindeutig, dass ich im Auto laut sang, betete und auch heulte. Ich hatte meinen Gott und Herrn wieder mal ganz hautnah erlebt.

Die Seminarzeit war ein Segen. Wir trafen uns jeden Monat für eine volle Woche in verschiedenen Hotels Deutschlands und Österreichs. Jeden Morgen, vor Beginn der Seminare trafen wir beide uns zu intensivem Gebet und wir konnten in unserer Gruppe lebendiges Zeugnis unseres Glaubens an Jesus Christus sein.

Diese mir von Gott gegebene Entscheidung konnte ich natürlich nicht für mich behalten und teilte diese zeitnah meinem Chef mit. Der hörte mir total gespannt zu und antwortete mir, dass er so etwas noch nie in seinem ganzen langen Leben gehört hat. Diese meine Entscheidung blieb dann auch gar nicht geheim. Beim nächsten Telefonat mit Opel machte er das gleich zum Thema und erzählte meine Geschichte weiter. Damit waren die Fronten auch sofort geklärt und ich hängte mich voller Freude und Tatendrang in meine Aufgaben. Übrigens, ich ließ mich für ein Grundstück in der Ortsgemeinde eintragen und meine Frau und ich entschlossen uns tatsächlich dazu, ein Haus zu bauen. 1995 sind wir dann mit 3 Kindern und meinen Eltern dort eingezogen. Dabei war das vierte Kind bereits unterwegs und das fünfte folgte dann als krönender Abschluss 1997.

Segensjahre

Tatsächlich löste ich am 01.Januar 1997 meinen Chef als Geschäftsführer des Unternehmens in Zschorlau ab und wurde nach der Fusion aller unserer Betriebe zum 01.01.2000 einer von drei Geschäftsführern des gesamten Unternehmens. Mir war es sehr schnell ganz wichtig geworden, einen Mitarbeiter-Gebetskreis ins Leben zu rufen. Wir waren sechs Männer, mein Geschäftsführerkollege und weitere Mitarbeiter in verantwortlichen Positionen als Betriebs- oder Abteilungsleiter. Regelmäßig einmal im Monat kochte meine Frau Petra für uns zu Mittag und anschließend, nach einem kurzen geistlichen Input, besprachen wir die anliegenden Probleme und ausstehenden Entscheidungen und gingen intensiv ins Gebet. Wir konnten manches Wunder und viele Segnungen erleben und hatten durch unsere intensive Glaubens- und Gebetsgemeinschaft für uns selbst die beste Möglichkeit, Kraft zu tanken und Schulterschluss zu halten.

Unser Unternehmen wuchs weiter und wir konnten bald auf sehr erfolgreiche Jahre zurückblicken. Ein Beispiel für die erlebten Wunder möchte ich hier noch nennen: Abhängig von der Jahreszeit und anderen politischen und wirtschaftlichen Faktoren war der Gebrauchtwagenbestand oft großen Schwankungen ausgesetzt. Einmal passierte es allerdings, dass der Bestand so extrem hochgeschossen war und somit bedrohlich hohe Summen an finanziellen Mitteln gebunden hatte, dass es mir die Sorgenfalten ins Gesicht trieb. Es wurde für uns zu einem ganz intensiven und permanenten Gebetsanliegen. Ja, das Wunder geschah und wir verkauften im folgenden Monat doppelt so viele Gebrauchtwagen, wie im Schnitt üblich. Der Bestand reduzierte sich schlagartig und die Liquidität erholte sich zusehends. Es war ein klares Wunder vor unseren Augen.

Unser großer Gott und Herr ist eben auch im Geschäftsalltag präsent. Er wirkt, wir müssen es nur erbitten und dann auch zulassen. Allzu oft wollen wir es allerdings selbst regeln, selbst in die Hand nehmen. Wir wähnen uns für klug, erfahren und fit für alle Anforderungen. Wieviel leichter wäre es, unsere Sorgen und Entscheidungen in Gottes Hand zu legen. Und dann kommt noch unsere Ungeduld dazu. Es muss doch schnell gehen, also entscheide ich schnell selbst. Das ist immer wieder sehr schade.

Mit den Jahren wuchs unser Unternehmen auf 11 Autohäuser im Gebiet von Westsachsen mit den verschiedensten Marken und ca. 250 Mitarbeiter an. Zwischenzeitlich haben wir auch noch ein Unternehmen in der Ukraine, in L‘viv gegründet und gemeinsam mit unseren ukrainischen Kollegen erfolgreich betrieben. Dort war auch ich mehrfach vor Ort und durfte Abenteuer, Wunder und Bewahrung erleben. Nach einem Generationenwechsel in der Leitung des Unternehmens haben wir uns dann step by step zurückgezogen und die Leitung komplett in ukrainische Hände gelegt.

Ich selbst musste mir im Jahr 2016 eingestehen, dass mit steigendem Alter die Kräfte schwinden und die Leistungsfähigkeit einfach geringer wird. Mein ständiges Gebet um Klarheit wurde damit immer intensiver. Meine Bitte war, dass mir mein Gott und Herr so klar, wie Er mir damals das „Ja“ für meinen Weg in der Firma gegeben hat, auch das Schlusszeichen setzen muss. Es muss so deutlich sein, dass ich es nicht übersehen oder überhören kann. Wenn ich das Zeichen bzw. die Entscheidung nicht bekomme, werde ich weitermachen, bis ich umfalle. Das war mein ständiges Gebet. Ich hoffte ganz sehr auf eine klare Ansage.

Der Schlusspunkt

2016 besuchte ich meinen Hausarzt mit dem Anliegen, für mich doch bitte eine Kur zu beantragen. Er lächelte und meinte, dass ich weder Vorerkrankungen habe noch Medikamente nehme. Woraufhin sollte ich da bitte eine Kur bekommen? Ich ließ nicht locker und so kam es zu einem Antrag und in diesem Zusammenhang zu einem Check bei einer Gutachterin. Diese Frau war sehr korrekt und „durchleuchtete“ mich geradezu, um mir am Ende meine Ambitionen bezüglich des Kurantrages zu nehmen. Ich wünschte mir unabhängig davon dennoch einen Aufenthalt in der Kurklinik d’ignis in Altensteig bzw. Egenhausen, weil diese Klinik christlich geführt ist. Wochen vergingen und ich hörte nichts mehr von meinem Antrag bis plötzlich die Klinik am Telefon war und mir mitteilte, dass meine Krankenkasse einen Aufenthalt genehmigt hätte. Nur wenige Tage später befand sich dann tatsächlich der große Umschlag mit Absender meiner Krankenkasse im Briefkasten. Inzwischen hatte ich mich allerdings entschieden, die Kur nicht anzutreten, da ich lediglich mit 3 Wochen rechnete und die liegengebliebene Arbeit nach dieser Zeit alle Kurerfolge wieder zunichtemachen würde. Also öffnete ich den Umschlag erst gar nicht. Nach weiteren zwei Tagen nahm dann meine Frau den Umschlag, öffnete ihn, las und fragte mich, wie viele Wochen ich wohl genehmigt bekommen habe. Nein, nicht drei, sondern fünf Wochen stehen hier auf dem Papier. Das brachte mich zum Umdenken und ich organisierte für diese Zeit einige Mitarbeiter, die mich in verschiedenen Bereichen vertreten sollten, mit der Maßgabe, dass bei meiner Rückkehr mein Schreibtisch und mein Postfach völlig leer sein sollten. Sehr bereitwillig wurden diese Aufgaben angenommen und ich konnte im Frühjahr 2017 für insgesamt sechs Wochen eine Kur-Auszeit nehmen.

Aufgetankt und mit frischer Kraft ging ich anschließend neue Aufgaben an, da ich die verteilten Verantwortungen mit Zustimmung bei den jeweiligen Mitarbeitern belassen konnte. Allerdings bereits ein Jahr später musste ich mir eingestehen, dass die Kraft wieder merklich nachließ. Ich brauchte am Morgen zwei Stunden Anlaufphase, um motiviert in die Firma gehen zu können und mittags ebenfalls ein bis zwei Stunden, um den Rest des Tages zu schaffen.

Im Oktober 2018 kam es dann zum großen Crash. Die Software der Firma wurde gehackt und alle Dateien verschlüsselt. Anschließend folgte die Erpressung. Es war für mich so mit Abstand das Schlimmste, was einem Geschäftsführer passieren konnte. Wenn es keine Lösung geben würde, wäre eine Insolvenz wahrscheinlich unvermeidbar, denn alle Daten und auch Sicherungen waren unbrauchbar. Das Gebet war die tragende Kraft und wieder gab es ein riesiges Wunder. Wir wurden während einer Krisensitzung per Telefon auf eine Lösungsspur gelenkt. Ich möchte hier nicht auf Details eingehen, aber ich kann bezeugen, dass das, was wir erlebt haben mit Zufall oder Glück nichts zu tun haben konnte. Wir sind mit schaffbaren Kosten und einiges an Arbeit aus dieser Situation „gerettet“ worden und hatten am Ende alle Daten zurück. Mir hat allerdings diese Zeit so viel Energie gezogen, dass ich einfach wieder fix und fertig war. Es stand die Weihnachtszeit vor der Tür und ich hoffte auf Erholung in diesen Feiertagen, die allerdings nicht eintrat.

Am 30.12.2018 passierte dann das, worum ich so lange und so intensiv gebetet hatte. Am Nachmittag, so ca. 14:30 Uhr, ich lag im Obergeschoss völlig kraftlos auf dem Sofa und war ganz allein. Plötzlich wurde ich mit einer Frage angesprochen: „Was steht auf deiner Stirn?“ Ich hörte es ganz deutlich, wusste aber nichts mit dieser Frage anzufangen. Nach einer Weile kam dieselbe Ansprache zum zweiten Mal: „Was steht auf deiner Stirn?“ So nach und nach bekam ich auch die Antwort. Ja, ich trage noch heute, wenn ich aus dem Haus gehe, immer ein Basecap. Die habe ich mir als Geschäftsführer in der Firma ausgesucht, bestellt und natürlich mit dem Schriftzug der Firma besticken lassen. Also trug ich die Firma auf meiner Stirn. Als mir die Antwort klar war, bekam ich eine dritte Ansprache: „Du sollst mein Kreuz auf deiner Stirn tragen.“ Augenblicklich wusste ich ganz sicher, heute und hier hat mein Herr und Gott den Schlusspunkt unter meinen Weg als Geschäftsführer gesetzt. Er hat meine Gebete erhört und so deutlich gesprochen, wie ich es erbettelt hatte. Ich rief meine Frau per Telefon und hatte für sie zwei Aufgaben: Die erste Aufgabe war, alle im Haus und Garage befindlichen Basecaps zu sammeln und in die schwarze Tonne zu werfen und die zweite Aufgabe war, alle geplanten Feierlichkeiten zu meinem 60. Geburtstag im Februar 2019 abzusagen. Ich war anschließend ein Jahr krank, konnte in dieser Zeit die Stille suchen und auch finden und war enger mit meinem Herrn und Gott verbunden als in all den zurückliegenden Jahren. Ich wusste genau, mein Herr will mich nicht auf dem Sofa haben. Nein, Er hat für mich eine neue Aufgabe, eine neue Bestimmung. Diese zu erkennen braucht Zeit und Stille, das war mir bewusst. Und diese Zeit habe ich mir genommen und die Stille aktiv gesucht. Die Antwort kam im Herbst des Jahres 2019. Ich bekam eine ganz klare Berufung mit Bestätigung zum Biker-Pastor beim Christlichen Motorradfahrer Sachsen e.V.

Berufung zum Biker-Pastor

Vom Geschäftsführer zum Biker-Pastor beim CMS e.V. – Wie kam es dazu?

Der CMS wurde bereits 2003 gegründet und ich wurde auch gleich im Jahr 2004 Mitglied. Allerdings trat ich dann 2017 aus Zeitgründen wieder aus. Es war mir einfach nicht mehr möglich, aktiv am Vereinsgeschehen teilzunehmen. Im Zuge einer BBK-Freizeit nutzte ich die Möglichkeit, meine Entscheidung mit dem geschäftsführenden Referenten des CMS, Roberto zu besprechen. Allerdings blieb ich weiter im Verteiler der Mitgliederbriefe und konnte daher die Entwicklung des Vereines und wichtige Informationen verfolgen. Dazu gehörte auch der Weggang des 2. Referenten beim CMS am 31.12.2018, also genau einen Tag nach meinem Lebenseinschnitt. Bereits im laufenden Jahr 2018 wurde u.a. in den Mitgliederbriefen auch die Suche nach einem neuen Referenten thematisiert. Das berührte mich allerdings überhaupt gar nicht. Auch im Laufe des Jahres 2019 gab es erneut die Suchanzeigen. So wurde im Mitgliederbrief vom 05.06.2019 über einen Bewerber berichtet, der allerdings nach zwei Gesprächen seine Bewerbung zurückgezogen hatte. Folgenden Satz möchte ich aus dem Brief zitieren: „Wir wollen nicht einfach eine Stelle besetzen, sondern bieten der richtigen Person die Möglichkeit, ihre Berufung zu leben.“ Mich hat das weder angesprochen noch bewegte ich diese Suche in meinen Gedanken. Meiner Frau sagte ich immer wieder einmal: „Ich könnte mir vorstellen, irgendetwas mit Musik zu machen, auf keinen Fall möchte ich aber predigen.“

Es vergingen wieder einige Monate und dann „flatterte“ der Mitgliederbrief vom 10. Oktober 2019 auf meinen Bildschirm. Irgendwie war ich in einer Anspannung, die ich nicht erklären konnte und begann den Brief aufmerksam zu lesen. Auf Seite zwei, ganz oben las ich dann: „Noch ist niemand in Sicht, der sich berufen fühlt, bei CMS zu arbeiten. Einen Baum mit Motorradfahrerseelsorgern, wo man nur hingeht und sich einen pflückt, gibt es leider auch nicht. Wir suchen jemanden, der zwei Leidenschaften mitbringen muss: Die Person braucht eine Leidenschaft für Jesus Christus und zweitens eine Leidenschaft für das Motorrad.“ Ich saß wie gebannt vor dem PC und spürte eine Hand, die aus dem Bildschirm auf mich zeigte mit den drei Worten: Du bist gemeint! Augenblicklich war mir klar, dass das meine Berufung in diesen Dienst ist. Ich wollte aber doch nicht predigen. Wieso jetzt das? Einige Tage ging ich mit dem Erlebten in Gedanken schwanger. Lediglich mit meiner Frau Petra redete ich darüber. Ich kam von diesem Erlebnis nicht los und so rief ich Roberto, den ersten Referenten des CMS an und bat ihn um ein Treffen, ohne einen Grund zu nennen. Der Termin war schnell gefunden und so besuchte ich Roberto in seinem Wohnort. Er hatte schon länger einmal vor, mit mir über meine gesundheitliche Situation zu reden und nun bat sich die Gelegenheit. Ich erzählte ihm vom 30.12.2018 und vom weiteren Verlauf meiner Erholungsphase bis zu meinem Erlebnis am Bildschirm. Seine spontane Frage war dann: „Und was willst du mir damit sagen?“ Meine Antwort: „Ich habe eine Berufung für den Dienst beim CMS.“ Roberto war eine kurze Zeit ganz still und sagte dann plötzlich: „Wir haben so sehr um einen jungen, dynamischen Mitarbeiter gebetet, und jetzt bekommen wir einen alten Sack.“ Danach lachten wir beide herzhaft und Roberto gab mir zu verstehen, dass er sofort und ganz kurzfristig eine Vorstandssitzung einberufen wird, in der ich mich vorstellen sollte. Der Termin war schnell gefunden und fand in Marienberg/Erzgebirge statt.

An dieser Stelle muss ich noch einfügen, dass im Vorstand des CMS e.V. neben drei gewählten CMS-Mitgliedern zwei festgelegte Personen tätig sind. Das ist zum einen der Landesjugendpfarrer von Sachsen und zum anderen der Superintendent des Kirchenbezirkes Marienberg/Flöha, also zwei gestandene Theologen. Da ich selbst über keinerlei theologische Ausbildung verfügte und nur auf mein ehrenamtliches Engagement in meiner Gemeinde und meine Geschäftsführer-Erfahrungen verweisen konnte, war ich mir bewusst, dass eine Anstellung als Biker-Pastor eher schwierig werden wird. Da ich für meine Berufung noch eine Bestätigung haben wollte, redete ich mit meinem himmlischen Vater und bat IHN um Klarheit. Da ich mit nun bereits 60 Jahren keine Ausbildung mehr anfangen wollte und auch keine wertvolle Zeit in Seminare investieren konnte, wurde die Bedingung der Bestätigung meiner Berufung folgende: Wenn beide gestandene Theologen keinerlei Voraussetzungen an meine Einstellung knüpfen würden, wie z.B. Ausbildung oder Seminare, dann weiß ich genau, die Berufung ist echt und mein HERR will mich genau an dieser Stelle haben.

Zum eilig einberufenen Vorstandstreffen war dann allerdings der Superintendent nicht anwesend, lediglich der Landesjugendpfarrer, die drei CMS-Mitglieder und Roberto waren da. Ich stellte mich vor, erzählte aus meinem Leben und vom 30.12.2018, beantwortete alle gestellten Fragen und durfte wieder gehen. Roberto teilte mir noch kurz mit, dass er mich noch am gleichen Abend anrufen wird, um mir das Ergebnis mitzuteilen. So gegen 22:30 Uhr klingelte dann mein Telefon und Roberto sagte mir sehr freudig, dass ich einstimmig angenommen bin. Auf meine Frage, welche Ausbildung ich noch durchlaufen und vorweisen muss, war seine Antwort: „Du bist ohne Auflagen angenommen. Der Landesjugendpfarrer hat sofort, nachdem du den Raum verlassen hattest, sein uneingeschränktes Ja zu deiner Einstellung geäußert.“ Roberto erzählte mir dann auf meine Frage nach dem nicht anwesenden Superintendenten ebenfalls, dass dieser bereits vorab, in seiner Entschuldigungsmail sein uneingeschränktes Ja zu meiner Einstellung abgegeben hatte. Das war für mich die eindeutige Bestätigung meiner Berufung und so begann ich bereits am 01.01.2020 für zwei Monate eine ehrenamtliche Tätigkeit und wurde am 01.03.2020 als Biker-Pastor beim CMS e.V. fest angestellt. Ja es stimmt, ich wollte keinesfalls predigen und genau das war jetzt ein wichtiger Teil meiner Tätigkeit. Da habe ich den Ball meinem Herrn Jesus Christus zugeworfen und gebetet. „Du hast mich in diese Aufgabe berufen, und nun verlasse ich mich darauf, dass du mir alles gibst und schenkst, was ich für diese Aufgabe brauche.“ Und mein Herr hat bis heute Wort gehalten, mich mit allem regelrecht überschüttet, was ich gebraucht habe und ich konnte viele Wunder erleben.

Das Timing war für mich im Rückblick noch sehr bemerkenswert. Ich wurde am 01.01.2020 angestellt und nur wenige Tage später ereilte die ganze Welt ein sogenannter Corona-Virus und brachte alles durcheinander. Die völlig neuen Herausforderungen in dieser Situation konnten Roberto und ich gemeinsam im Schulterschluss angehen und mit Gottes Hilfe auch gut meistern. So war ich anschließend drei Jahre und zwei Monate hauptamtlich als Biker-Pastor unterwegs und bin seit Mai 2023 im Ruhestand. Das war allerdings nur daher so unkompliziert möglich, weil es für meine Nachfolge ebenfalls wieder eine eindeutige Berufung gab. So bin ich nun Biker-Pastor i.R., in Ruhe oder besser in Reichweite und kann immer noch Dienste tun, ganz nach meinen noch vorhandenen Kräften.

Schlussbemerkung

In meinem Leben ist heute nichts mehr, wie es vor dem 30.12.2018 war, lediglich meine Familie ist noch die gleiche. Ja, ich bin noch immer Gesellschafter und auch über Immobilien mit dem Unternehmen verbunden, allerdings war am 30.12.2018 meine aktive Zeit nach 43 Jahren im Unternehmen zu Ende. Meine beiden Geschäftsführer-Kollegen führen das Unternehmen sehr erfolgreich weiter und dafür bin ich sehr dankbar.

Ja, mein Vater wollte mich keinesfalls in diesen Betrieb geben, mein Herr und Gott wollte es allerdings anders und hat damit eine Segenslinie begonnen und vollendet. Alle Werkstätten, in die mich mein Vater damals so gerne zur Ausbildung geben wollte, existieren zum größten Teil heute nicht mehr oder sind kleine Werkstätten geblieben.

Wie groß und wunderbar ist doch mein Herr. Allein Ihm zur Ehre habe ich das geschrieben und erzählt. Ihm meinem Gott, meinem Herrn Jesus Christus werde ich bis an mein Lebensende dankbar sein.

Die Gelegenheit will ich allerdings auch nutzen, um meiner Frau Petra ganz herzlich zu danken. Sie hat mich die ganzen Jahre begleitet und unfassbar unterstützt, hat unsere Kinder sehr oft alleine erzogen und mir, wo es möglich war, den Rücken freigehalten. Liebe Petra, sei besonders gesegnet dafür.

Lauter-Bernsbach, den 16.07.2025

Stefan Markus