Ganz Privat / 23. September 2025

Abschiedskarten mit Handikap – warum ich trotzdem weiterschreibe

Bildindex Walter Stuber

In meinem letzten Blog habe ich erzählt, dass ich Karten an Zweitleserinnen und Zweitleser schreibe – von Hand. Vielleicht klingt das romantisch. Für mich ist es vor allem eins: eine große Herausforderung. Seit rund zwölf Jahren nutze ich Gehhilfen. Was viele nicht wissen: Der dauerhafte Druck und die Belastung haben mein Nervensystem in den Händen stark geschädigt. Trotz manueller Therapien und Strombehandlungen habe ich die Feinmotorik nicht zurückgewinnen können. Das hat Folgen im Alltag, die man kaum ahnt – selbst simple Dinge werden zu Hürden.

Ein Beispiel: Hemdknöpfe. Auf Dienstreisen brauche ich ein ordentliches Hemd. Die Knöpfe schaffe ich nicht mehr allein. Meist macht meine Frau alle bis auf den letzten zu, und ich ziehe mir das Hemd über den Kopf. Manchmal bitte ich an der Hotelrezeption um Hilfe – den obersten Knopf, die Manschetten. Es gibt Hilfsgeräte, ja. Doch oft ist der direkte, menschliche Handgriff schneller, freundlicher, ehrlicher. Ähnlich ist es mit Schrauben: Eine lockere Klemme lösen? Für mich nicht mehr möglich. Die Feinmotorik ist weg, und damit die Leichtigkeit, die man früher gar nicht bemerkt hat.

Warum erzähle ich das? Weil genau deshalb jede handgeschriebene Karte für mich ein kleines Stück Überwindung ist – und zugleich ein großes Stück Wertschätzung. Bis heute habe ich etwa 500 Karten geschrieben und 500 Bücher verschickt. Weitere werden folgen. Jede Karte bedeutet Konzentration, Kraft und Geduld. Jeder Buchversand ist ein Versprechen: Danke, dass ihr mich begleitet habt – als Kundinnen und Kunden, als Freundinnen und Freunde, als Lieferanten, als Weggefährten. Es ist mein persönlicher Abschied in Etappen, nicht vom Leben, aber von einer Lebensphase als Unternehmer, Macher, Anpacker im Gerüstbau, der vieles selbstverständlich allein geregelt hat.

Wie es mit meinen „Handycap-Händen“ weitergeht, weiß ich nicht. Meine Spastik schreitet voran, so wie in den vergangenen Jahren. Wahrscheinlich werde ich langfristig den Rollstuhl brauchen. Das ist kein leichter Satz. Er bringt Fragen mit sich, die tief in den Alltag reichen: Können wir in unserem Haus bleiben? Können wir unseren geliebten Garten weiter genießen? Was müssen wir umbauen, loslassen, neu denken? Es sind keine tragischen, aber sehr realen Fragen. Und sie verlangen nach Mut – nicht dem lauten, sondern dem stillen, der morgens aufsteht und das Nächste tut.

Warum schreibe ich dennoch weiter Karten? Weil Schreiben verbindet. Weil es mich zwingt, mich nicht in der Einschränkung zu verlieren, sondern im Gegenüber. Weil es Dankbarkeit festhält, die nicht verstummt, nur weil die Hände stolpern. Vielleicht ist das das eigentliche Geschenk dieser Zeit: das Wesentliche nicht mehr zu übersehen.

Und jetzt zu dir: Mit welchem Handikap lebst du? Körperlich, seelisch, beruflich, zeitlich – jeder trägt etwas. Teile es in den Kommentaren. Nicht, um Mitleid zu bekommen, sondern um Mut zu teilen. Vielleicht braucht heute jemand genau deine Geschichte, um morgen weiterzugehen.

Danke, dass du mich auf diesem Weg begleitest. Jede Karte, jeder Kommentar, jedes Gebet – sie machen die Straße vor mir ein Stück heller.

 

5 gedanken zu “Abschiedskarten mit Handikap – warum ich trotzdem weiterschreibe

  1. Herr Stuber, Ihre Handycap-Hände schreiben Karten, die mir die Augen öffnen! Meine Hürden sind meist weniger dramatisch: Zum Beispiel, den Computer zum Laufen zu bringen. Aber Ihre Geduld bei den Knöpfen und Schrauben ist beeindruckend. Und ja, auch ich verstehe die magische Kraft einer handgeschriebenen Karte – vielleicht muss ich nur noch lernen, nicht nur zu schreiben, sondern auch die Post zu bekommen. Ihre Spastik schreitet voran – super! Meine Spastik besteht darin, dass ich ständig versuche, zu wissen, was ich tun soll, aber meistens nicht weiß, wo ich anfangen soll. Trotzdem: Danke für den Mut und die Ermutigung. Und wer weiß, vielleicht brauche ich ja auch langfristig einen Rollstuhl – mit dem kann man ja auch Karten schreiben!

  2. Herr Stuber, Ihre Geschichte mit den Hemdknöpfen ist herzlich ermutigend – und gleichzeitig eine警钟 für mich, mein Schraubenschlüssel zu finden! Ihre 500 Karten sind ein Beweis dafür, dass auch mit Handycap-Händen manche Dinge (wie Dankbarkeit ausdrücken) funktionieren. Aber was wird passieren, wenn Ihre Frau die letzte Karte zückt und selbst Hilfe benötigt? Und wie bewältigen Sie das Knöpfen im Rollstuhl? Vielleicht benötigen Sie doch ein Hilfsmittel, das Hemdknöpfe auch aus der Ferne per App steuerbar macht? Ihr Mut ist beeindruckend, aber manchmal sollten wir auch lernen, den Kopf (oder in Ihrem Fall vielleicht die Schultern) aus der Tasche zu stecken und zuzugeben: Hilfe, ich brauche einen Knopf dran! Das wäre dann aber sicher kein kleines Stück Überwindung mehr, sondern ein großes Stück Ehrlichkeit. Geniales Schreiben!

  3. WOW, ein Rollstuhl? Pah! Ich habne schon mein Handy nicht mehr alleine gelegt, und jetzt soll ich mir Gedanken um den Garten machen? Bei mir ist das Problem kleiner: Wenn ich die Kaffeemaschine anschalte, springt der ganze Keller mit. Aber keine Sorge, ich habne schon eine Lösung: Einen Freund engagieren, der mein Handicap als Job annimmt. Vielleicht schreibt er dann auch meine Dankeskarten – viel schneller und mit weniger Feinmotorik-Fehler. Und wer weiß, vielleicht braucht ja jemand später meine Expertise, wie man eine Kaffeemaschine deaktiviert…

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