Ganz Privat / 10. Dezember 2024

Von der Last der Einsamkeit zur Kraft der gelebten Liebe: Meine Reise mit HSP, Hereditäre Spastische Paraplegie

Bild: Walter Stuber

Gelebte Liebe steht höher als Dankbarkeit 

Dankbarkeit ist eine Tugend, die mir im Laufe meines Lebens immer wichtiger wurde. Doch was ich auf meinem Weg erst spät lernte, ist, dass gelebte Liebe noch wertvoller ist als reine Dankbarkeit. Mit meiner Erbkrankheit HSP 4, die sich bereits im sechsten Lebensjahr bemerkbar machte, entwickelte sich mein Leben anders als das vieler anderer Kinder. Meine Eltern, stark in die Landwirtschaft eingebunden, hatten wenig Zeit für mich. Schon früh lernte ich, selbstständig zu sein – ich kümmerte mich um die Hausarbeit und backte am Wochenende Kuchen.

In dieser Umgebung erlebte ich eine andere Art von Liebe – nicht die warme, umfassende Liebe, wie sie oft in christlichen Werten beschrieben wird. Die Liebe meiner Eltern war anders, oft nicht direkt spürbar, geprägt von Stille und harter Arbeit. Ich sehnte mich nach Zuneigung und machte oft den Fehler zu glauben, Liebe ließe sich erkaufen. Ich dachte, wenn ich anderen Geschenke mache, würde ihre Liebe folgen. Doch diese Annahme führte zu Enttäuschungen und ließ Freundschaften zu Gelegenheiten verkommen.

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Trotz dieser Herausforderungen blieb ich großzügig. Ich verstand, dass meine Großzügigkeit nicht das Mittel zum Zweck sein sollte, sondern ein Ausdruck meiner eigenen Werte. Es war ein langer Prozess zu erkennen, dass Liebe nicht durch materielle Dinge gewonnen wird, sondern durch echte, gelebte Beziehungen.

Heute sehe ich Liebe als eine Handlung, nicht nur als ein Gefühl. Es geht darum, wie wir uns täglich entscheiden, mit anderen umzugehen, wie wir Unterstützung und Verständnis zeigen. Liebe ist die Bereitschaft, für andere da zu sein, auch wenn es unbequem wird. Es ist die Kunst, zuzuhören, ohne zu urteilen, zu unterstützen, ohne zu erdrücken.

Diese Erkenntnisse haben mein Leben verändert. Ich habe gelernt, dass wahre Liebe in den kleinen, alltäglichen Handlungen liegt. Sie ist das freundliche Wort, der geduldige Zuhörer, die helfende Hand. Und während ich weiterhin dankbar bin für alles, was das Leben mir bietet, weiß ich nun, dass gelebte Liebe eine noch tiefere, bedeutendere Ebene der menschlichen Erfahrung darstellt.

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In der Balance zwischen Dankbarkeit und gelebter Liebe finde ich heute meinen Frieden. Ich strebe danach, beides in mein tägliches Leben zu integrieren, um nicht nur ein dankbares, sondern auch ein liebevolles Herz zu pflegen. Denn am Ende wird nicht gezählt, wie viel wir hatten, sondern wie viel wir geliebt haben.

 

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