Kaum hatte ich eine Idee formuliert, musste sie unverzüglich vom Team umgesetzt werden. Wenn nicht, bekam ich einen meiner gefürchteten Wutanfälle. So war ich früher. Nichts worauf ich stolz sein könnte. Eher beschämend und traurig. Aber es gehört zu meiner Biografie: Als Chef war ich ein Tyrann.
Warum und wie ich zur Einsicht gekommen bin, dass es so nicht weitergehen kann, habe ich hier bereits beschrieben. Auch in unserem Buch „Mutmacher- Das Praxishandbuch von zwei verrückten Unternehmern“ www.neufeld-verlag.de/de/mutmacher.html berichte ich in Kapitel 5 von meiner Veränderung.
Vergangenheit ruhen lassen oder Verantwortung übernehmen?
Gott sei Dank (im wahrsten Sinne des Wortes) liegt diese Zeit hinter mir und den Menschen, mit denen ich tagtäglich zu tun habe. „Dann ist ja jetzt alles gut!“ Könnte man meinen. Aber immer wieder nagten Fragen an mir: Reicht es, dass ich mich verändert habe und jetzt besser mit meinen Mitmenschen umgehe oder muss da noch was kommen? Nach langem Überlegen wurde mir klar, dass ich mich bei denen entschuldigen muss, die Opfer meiner Tyrannei geworden sind.
Das klingt dramatisch. Ich habe ja niemanden körperliche Gewalt angetan. Aber verletzt habe ich dennoch mit meinen Worten und den knallharten Entscheidungen. Ich bin sicher, dass ich mit so mancher (ungerechtfertigter) Kündigung dafür gesorgt habe, dass es in den betroffenen Familien gekriselt hat, weil der Druck, den ich gegen die Mitarbeiter aufgebaut habe, zuhause weitergegeben wurde und dass dadurch Beziehungen auf die Probe gestellt oder gar zerstört wurden. So mancher ist sogar aus unserer Region weggezogen, weil er sich so geschämt hat, dass er seine Arbeit verloren hat. Die Verantwortung dafür liegt eindeutig bei mir.
Ungewöhnliche Idee: Wiedersehensfeier
Es tut mir heute unendlich leid, was ich alles mit meinem Jähzorn angerichtet habe. Ende des letzten Jahres wurde mir klar: Du musst dich persönlich entschuldigen. Aber wie? Da kam die Idee eine „Wiedersehensfeier“ für ehemalige Mitarbeiter dazu zu nutzen.
Im Dezember 2017 sollte die Feier stattfinden. Um die Einladungen verschicken zu können, mussten wir teilweise recherchieren um die aktuellen Adressen der alten Kollegen herauszufinden. Schockiert war ich, als ich dabei erfuhr, dass ein junger Ehemaliger schon gestorben war! Dank noch vorhandener Kontakte und Facebook haben wir schließlich 150 Einladungen an Mitarbeiter, die seit der Gründung der Gemeinhardt Gerüstbaus Service GmbH 2001 bei uns waren, verschicken können.
Reinen Tisch machen
Ich gebe zu: Bei manchem Namen, der auf der Liste stand, musste ich mehr schlucken als bei anderen. Erinnerungen kamen hoch, die für mich sehr unangenehm waren. Aber ich hatte mich entschieden „reinen Tisch“ zu machen, da gehörten solche Gefühle dazu.
Rückblickend bin ich sehr dankbar, dass ich diesen schwierigen, vielleicht auch ungewöhnlichen Weg gegangen bin. 16 ehemalige Mitarbeiter sind der Einladung gefolgt. Es wurde ein wunderbarer Abend der Versöhnung! Ich konnte damit zwar nicht mein Fehlverhalten ungeschehen machen, aber ich konnte deutlich machen, dass ich es bereue und die Verantwortung dafür übernehme. Dass ich mich verändert haben, wurde ja sowieso klar. Am Ende habe ich alle um Vergebung gebeten. Sie werden es kaum glauben: Wir sind als Freunde auseinander gegangen! Für mich eine große Erleichterung.
6 Voraussetzungen für echte Vergebung
Ein schlichtes „Tut mir leid!“ – hätte nicht genügt. Das war mir klar. Aber dass das sogar wissenschaftlich bewiesen ist, das habe ich erst nach der Wiedersehensfeier gelesen: www.welt.de/gesundheit/psychologie/article154375065/So-entschuldigen-Sie-sich-richtig.html
Darin wird geschildert, dass Untersuchungen ergeben haben, dass zu einer Entschuldigung, bei der am Ende wirklich Verzeihen steht, sechs Komponenten gehören müssen:
- sich verbal entschuldigen
- erklären, was schief gelaufen ist
- Verantwortung übernehmen
- deutlich machen, dass man es heute anders machen würde
- Schaden – wenn möglich – wieder gutmachen
- um Vergebung bitten
Keine Angst das Gesicht zu verlieren!
Dann habe ich ja alles richtig gemacht mit meinen „Tyrannen-Altlasten“! Allerdings bleibt die Frage, ob ich das nicht schon ehr hätte angehen müssen!
Respekt! Sollten alle Führungskräfte ebenso tun.