Sehr geehrte Damen und Herren,
Unsere Vergangenheit prägt uns mehr, als wir ahnen!
Warum ich erst nach dem Tod meiner Mutter ein besseres Verhältnis zu meinem Vater bekam
In meinen ersten Lebensmonaten hatte ich eine Ersatz-Mama: meine damals 20 jährige Schwester Heidi. Meine Mutter lag nämlich lange im Krankenhaus. Genaueres darüber habe ich nie erfahren. Ich war der Nachzügler im Hause Stuber. An meinen zwölf Jahre älteren Bruder Gerhard habe ich fast keine Kindheits-erinnerungen mehr.
Nur diese Anekdote: Gerhard hat immer meine Schokolade gegessen. Deshalb habe ich meinen Patenonkel Fritz, der Schuhmacher war, gebeten mir eine Schokoladentafel aus Leder herzustellen. Diese habe ich dann sorgfältig in Originalschokoladenpapier eingewickelt. Die Falle ist zugeschnappt: Gerhard hat sich tatsächlich die Zähne daran ausgebissen!
Ich war schwierig und habe es meinen Eltern nie nicht leicht gemacht.
Keine Anerkennung von den Eltern
Durch den großen Altersunterschied zwischen mir und meinen Geschwistern kam es auch dazu, dass mich meine Eltern mit ihren fünf Enkelkindern verglichen haben. Der Vergleich fiel meistens schlecht für mich aus. Was mich besonders ärgerte: Für gute Note haben meine Eltern ihren Enkeln immer extra Taschengeld gegeben und sie wurden gelobt. Lob- das kannte ich gar nicht. Dabei habe ich mich immer nach Anerkennung von meinen Eltern gesehnt.
Irgendwann dachte ich, dass ich wohl nie den Ansprüchen und Wünschen meiner Eltern gerecht werden würde. Das Verhältnis blieb schwierig.
Das hat sich erst im hohen Alter meiner Eltern verändert. Ganz langsam zeigten sie mir Anerkennung. Das hatte aber vor allem den Grund, dass sich mein Vater gut mit meiner zweiten Frau Burgunda verstanden hat. Sie war so etwas wie eine Brücke zwischen uns.
Späte Annäherung an meinen Vater
Meine Mutter erholte sich nie wieder richtig und musste 20 Jahre gepflegt werden. Im April 1999 starb sie im Alter von 83 Jahren. Damit veränderte sich interessanterweise das Verhältnis zu meinem Vater zum Positiven. Ich erfuhr auch warum: Er hatte mir die Schuld für die schweren Depressionen meiner Mutter gegeben, die nach meiner Geburt begonnen hatte! Nach dem Tod meiner Mutter war dieser Keil zwischen uns weg.
Im Sommer 1999 besuchte uns mein Vater in Sachsen. Wir sind sogar zusammen mit meiner Frau ein paar Tage in Urlaub gefahren. Ich erzählte ihm auch Geschäftliches. Zum Beispiel, dass ich überlegte, die Niederlassung meines ehemaligen Chefs Heinrich Gemeinhardt zu kaufen. Davon riet er mir kategorisch ab. Wie so oft hatte er mir nicht zugetraut, dass ich so etwas leisten kann! Das tat weh. Ein paar Monate später, im Dezember 2000 verstarb mein Vater.
Prägungen kann man nicht einfach abschütteln
Wenn ich heute zurück schaue und sehe, was ich alles geschafft habe, dann kann ich einerseits nur staunen. Ich habe damals die Niederlassung zusammen mit Gesellschaftern gekauft und führe diese Firma Gemeinhardt Gerüstbau Service GmbH heute noch erfolgreich mit Dirk Eckart. Andererseits spüre ich, wie sehr mich die Prägung meines Vaters immer noch beeinflusst, wie ich dieses „mit nichts zufrieden sein“ scheinbar geerbt habe.
Schnell sehe ich nicht mehr das, was ich erreicht habe, sondern nur, dass es weitergehen muss und dass alles vergänglich ist.
Aus diesem Grund habe ich angefangen in meinem Garten seltene Bäume zu pflanzen. Ich verbinde damit die Hoffnung, dass unsere Kinder später, wenn wir mal nicht mehr auf dieser Welt leben, sich beim Pflegen der Bäume dankbar an ihre Eltern erinnern.
Walter Stuber