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Allgemeine Themen / 3. Mai 2022

Leben mit HSP oder Was mich (be)hindert sind nicht immer die Gene

Leben mit HSP

Von Walter Stuber

„Ein auffälliges Gangbild“ nannten es die Ärzte als ich sechs Jahre alt war. Von da an galt ich als „gehbehindert“. Mit 25 Jahren bekam ich dann die Diagnose HSP, Hereditäre Spastische Paraplegie. Eine Erbkrankheit des Rückenmarks, die für meine Gangstörung und die Spastik in den Beinen sorgte. Was das für meine Zukunft bedeuten würde, hat mich damals nicht interessiert, alles, was mit HSP zusammenhing, habe ich verdrängt.  

Ich war so konsequent, dass ich zwanzig Jahre lang nicht zum Arzt gegangen bin. Krank oder behindert? Das waren die anderen! Ich doch nicht! Tatsächlich hatte ich lange kaum motorische Einschränkungen. Bis bei mir mit 52 Jahren eine Zyste im Spinalkanal festgestellt wurde, die operativ entfernt werden musste. Seitdem bin ich – mal mehr, mal weniger – mit Gehhilfen unterwegs. Auch wenn ich mich nicht so fühle: Ich bin ein Schwerbehinderter! 

Wie geht es anderen Betroffenen?

Vor einiger Zeit nahm ich Kontakt auf zur Tom Wahlig Stiftung www.hsp-info.deder weltweit ersten Stiftung für HSP, die die Erforschung der Krankheit fördert und Betroffene berät. Es hilft mir, zu hören und zu lesen, wie andere mit der unheilbaren Krankheit umgehen. Ich schaue auch regelmäßig im Internet, was es Neues zu HSP gibt. 

In einem Blogbeitrag entdeckte ich die Ergebnisse einer Online-Umfrage unter 565 an hereditärer spastischer Paraplegie Erkrankten, die überwiegend aus den USA, Deutschland, Brasilien und Großbritannien stammten. Es ging darin zum Beispiel um das Wohlbefinden und die familiäre und gesellschaftliche Akzeptanz. Adam Lawrence aus Bristol, Großbritannien, der selber an HSP erkrankt ist, hat sie zum „Tag der seltenen Erkrankungen 2022 am 28. Februar veröffentlicht. 

Angst vor dem, was noch kommen kann

Ich muss gestehen, dass es mich jedes Mal Überwindung kostet mir eine neue Studie oder Umfrage zu HSP anzuschauen. Wenn ich schwarz auf weiß lese, was andere an Einschränkungen, Schmerzen ertragen und erleiden müssen, dann frage ich ängstlich: Was kommt noch alles auf mich zu? 

Nach der Lektüre solcher Umfragen und Berichte, achte ich meist auf jede Kleinigkeit in meinem Körper und befürchte eine Verschlechterung. Für mich ist es ein echtes Horrorszenario mir vorzustellen, dauerhaft in einem Rollstuhl sitzen zu müssen oder mit einem Katheter zu leben, weil die Erkrankung auch die Blase massiv schädigen kann. 

Kaum Inklusion und Integration in der Wirtschaft

Zurück zu der Online-Umfrage von Adam Lawrence. Hier habe ich mich tatsächlich an vielen Stellen wiedergefunden. Ein Beispiel: Etwas jeder fünfte Befragte mit HSP hat das Gefühl, von gesellschaftlichen Veranstaltungen ausgeschlossen zu sein. Das kenne ich zu gut. Als Unternehmer bin ich oft der Einzige weit und breit, der mit Gehhilfen unterwegs ist, keine Rollifahrerinnen oder -Fahrer, obwohl doch so viel von Integration und Inklusion die Rede ist. In den Chefetagen sieht man davon wenig bis gar nichts und auch nicht bei offiziellen Anlässen im Bereich der Wirtschaft. 

Ich habe es selbst erlebt, bei der Verleihung des „Großen Preis des Mittelstandes 2019“.  In meinem Blog habe ich ausführlich darüber berichtet, welche Mühe ich hatte quer durch den Saal zur Bühne zu gehen und dort die Treppen zu erklimmen. Aber ich lasse mich nicht ausbremsen, hier nicht und auch sonst nicht. Ich gehe meinen Weg – auch wenn das Laufen manchmal mühsam ist und es nicht schön aussieht, wenn man mit Krücken auf offiziellen Fotos zu sehen ist.

Akzeptanz bringt Wohlbefinden

HSP ist ein Teil von mir. Es hat viele Jahre gebraucht, bis ich das annehmen konnte. Die Umfrage von Adam Lawrence belegt übrigens, dass ein starker Zusammenhang besteht zwischen Akzeptanz und Wohlbefinden. Das ist auch meine Erfahrung. 

Von der Tom-Wahlig-Stiftung wurde ich befragt, wie es mir in meinem Leben mit HSP geht, wie ich ganz persönlich damit zurechtkomme. Die letzte Frage lautete: Möchtest Du Dir und anderen HSPlern noch etwas mit auf den Weg geben, was Dir wichtig erscheint?  Meine Antwort: Schau nicht auf das, was nicht (mehr) geht, sondern auf das, was Du kannst! Lebe Dein Leben nach Deinen Möglichkeiten und sei glücklich. Sei ein Mutmacher!

Allgemeine Themen / 26. Juni 2017

Barrierefrei !?

Ein Plädoyer für mehr Körperbehinderte in den Führungsetagen

„Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch ganz natürlich dazu gehört. Egal, wie du aussiehst, welche Sprache du sprichst oder ob du eine Behinderung hast. (…) Wenn jeder Mensch überall dabei sein kann, am Arbeitsplatz, beim Wohnen oder in der Freizeit: Das ist Inklusion.“

So wird der sperrige Begriff bei www.aktion-mensch.de erklärt. Soweit die Theorie. Auf vielen Ebenen wird daran gearbeitet das in die Praxis umzusetzen. Aber die Realität ist noch weit von diesem Ziel entfernt.

Exklusion statt Inklusion

Davon kann ich als Gehbehinderter mit einer Spastik einiges berichten. Auf manches musste ich schon verzichten, weil ich nicht gut zu Fuß bin oder konnte es nur mit grossem Einsatz erleben. Ich denke da an den weltbekannten Blick über das Elbtal auf die Tafelberge der Sächsischen Schweiz, den man auf der Bastei genießen kann www.oberelbe.de .

Es gibt auf dieser Felsenformation zwar einen abgesicherten Weg. Wenn Sie diesen aber, wie ich, mit zwei Krücken bewältigen müssen, werden Sie merken, dass hier Inklusion noch ein Fremdwort ist. Mit einem Rollstuhl ist die Strecke überhaupt nicht zu bewältigen. Ich finde es wirklich traurig, dass somit manchen Menschen dieses Naturerlebnis verwehrt bleibt.

Bin ich eine Ausnahme?

Inklusion: Es gibt noch so viel in unserem Land zu tun, damit Menschen mit Behinderung ganz selbstverständlich „überall dabei sein“ können. In allen gesellschaftlichen Bereichen. Ich stelle mir schon lange die Frage: Wo sind bei den vielen Netzwerk-Veranstaltungen, die ich besuche, die Menschen mit Handicaps? Oft bin ich der Einzige. Gibt es wirklich so wenige Führungskräfte und Selbstständige, die eine Körperbehinderung haben?

Es scheint so zu sein und aus eigner, leidvoller Erfahrung kann ich sagen, dass mir aufgrund meiner Behinderung, der Weg in die Selbstständigkeit nicht leicht gemacht worden ist. Was hat mir geholfen, nicht aufzugeben? Es war mein Ehrgeiz, mein fester Wille allen zu zeigen, was in mir steckt. Das hat oft viel zusätzliche Kraft gekostet. Aber es hat sich im Nachhinein gelohnt.

Körperbehindert = „Nichts drauf“!?

Leider denken viele immer noch, dass eine körperliche Behinderung gleichbedeutend damit ist, dass man auch in anderen Bereichen eingeschränkt ist und „nichts drauf“ hat! Auch in den Netzwerken, in denen ich unterwegs bin, ist kaum das Bewusstsein vorhanden, dass es unter den Körperbehinderten qualifiziertes Personal geben könnte, dass auch gut in Führungspositionen einzusetzen wäre.

Die Frage ist natürlich: Wie kann man das ändern?
Darauf habe ich bis jetzt auch noch keine zufriedenstellende Antwort.
Aber vielleicht ist es ja ein Anfang, dass Sie, als Leserinnen und Leser, für dieses Thema sensibilisiert werden und offen werden für qualifizierte Mitarbeiter im Rollstuhl oder mit Krücken!

Auf dass die „Aktion-Mensch“ Definition von „Inklusion“ irgendwann auch in den Führungsetagen Alltag sein kann